Die Wegwarte – Blauwarte (Cichorium intybus)
Sie steht blau blühend im Sommer an vielen Wegen und Straßenränder, aber auch Schutthalden oder Mauern: die Wegwarte
Artikel aus der Reihe Kräuter- Erlebnis, Kräuter-Portraits von
July 23, 2023
Man muss aber schon am Vormittag und bei gutem Wetter an Ort und Stelle sein, damit die blaue Blütenpracht zu sehen ist. Bei Schlechtwetter ober am Nachmittag sieht man nur augenscheinlich „nackte“ Stängel, die Verwunderung auslösen.
Was zeichnet diese eher unscheinbare Pflanze aus, dass sie 2020 vom Verein NHV Theophrastus zur Heilpflanze des Jahres 2020 gekürt wurde?
Die ‚Wegwarte gehört zur Familie der Korbblütler. Sie ist mehrjährig, eine anspruchslose Pflanze. Sie bildet im ersten Jahr nur eine Blattrosette aus, deren Blätter wegen ihrer Form mit dem Löwenzahn verwechselt werden können. Ab dem zweiten Jahr wächst ein hoher verzweigter Stängel und eine Pfahlwurzel1[1]. Ihre Schönheit lieg in den hellblauen ca. 3 cm großen Blüten, die aber nur etwa 6 Stunden erfreuen. Danach bleibt nur – wie schon erwähnt - der unscheinbare Stängel.
Schon die alten Ägypter, aber auch Hippokrates, Hildegard von Bingen, Paracelsus und nicht zuletzt Pfarrer Kneipp bewerten die Wegwarte als wertvolle Heilpflanze. Für Heilzwecke werden nur die Pflanzenteile der wildwachsenden Wegwarte gesammelt. Die Wurzel gräbt man von Mitte März bis Ende Mai aus, Blätter und Blüten werden im Juli und August gesammelt. Blüten und Blättern enthalten Bitterstoffe, Gerbstoffe, Cichoriensäure, Cumarin, Eisen. In der Wurzel ist der Hauptbestandteil Insulin (ca. 50 – 60 %) [2]
Bereits im Gart der Gesundheit, in einem der ersten gedruckten Kräuterbücher in deutscher Sprache, wurde die Wegwarte als wichtige Heilpflanze genannt.
Tee aus Blättern, Blüten und Wurzel wirkt blutreinigend, Gallensteinableitung und ist appetit- und verdauungsanregend. In der Homöopathie wird die Wegwarte ebenfalls bei Verdauungsschwäche eingesetzt.
In der Küche kann man Blätter und Blüten zu Salaten verarbeiten (Vorsicht: bitter!).
Die bekannteste Anwendung ist jedoch der Zichorienkaffee. Dazu wird die Wurzel gereinigt, getrocknet und geröstet (nicht zu stark) und zu Pulver verrieben.
Im 18. Jahrhundert wurde entdeckt, dass die geröstete Wurzel der Wegwarte Ersatz für den teuren Bohnenkaffee bot. «Friedrich der Große (1712 -1786) förderte den Anbau der Pflanze. Noch größere Bedeutung erlangte der Kaffeeersatz durch Napoleon, als er 1806 die Kontinentalsperre verhängte und damit einen Mangel an Lebens- und Genussmitteln auslöste. Als Verballhornung vom französischen „Mocca faux“ (= falscher Kaffee) etablierte sich bald der Name „Muckefuck“».[3]
Meine Oma hat in den schlechten Zeiten Zichorienkaffee mit Malzkaffee gemischt. Heute bieten Biokaffees auch noch Zichorien- oder Löwenzahnkaffee an. Der Geschmack ist aber gewöhnungsbedürftig!
Der Wegwarte werden auch Zauberkräfte zugeschrieben. Sie ist das Symbol treuer Liebe in Verbindung mit meist vergeblichem Warten. In zahlreichen Legenden steht die Pflanze als verzauberte Jungfrau (Prinzessin) mit blauen Augen am Wegesrand und hofft auf die Rückkehr ihres Geliebten. Aber vergeblich! Und sie sagt:
«Eh dass ich lass das Weinen stahn,
will lieber auf die Wegscheid gahn,
ein Feldblum dort zu werden» [4]
Im Christentum symbolisiert die bittere Wegwarte die Passion Christi.
Neben vielen anderen Bezeichnungen ist ein Name der Wegwarte „wilde Endivie“. Kulturformen sind verschiedene Salate wie Chicoree, Zuckerhut und Radicchio.
[1] Enzyklopädie Essbare Wildpflanzen ISBN 978-3-03800-752-4
[2] 2Kosmos Heilpflanzenführer ISBN 978-3-440-146736
[3] Maria Vogel, Dipl.-Ing. (FH) Pharmazie, NHV Theophrastus, Oktober 2019
[4] Jungfer im Grünen und Tausendgüldenkraut – vom Zauber alter Pflanzennamen IBAN 978 3 88747 3297
Sämtliche Hinweise, Rezepturen, Anleitungen und Ideen sind persönliche Erfahrungen und persönliches Wissen.
Die vorgestellten Methoden und Hinweise ersetzen NICHT den Besuch beim Arzt oder Psychologen und stellen auch kein Heilversprechen dar.
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Walburg Ernst ist eine der ersten gewesen, die sich nach Veröffentlichen unserer Website im Herbst bei uns gemeldet hat. Sie hat schon mehrere Ausbildungen gemacht und liebt es, sich über Ländergrenzen hinweg zu vernetzen und auszutauschen. Hier bei Kräuter&Leut lässt sie uns mit Kräutersteckbriefen an ihrem Wissen teilhaben. Immer gut gelaunt und spontan – das ist Walburg mit ihrer Liebe zur Natur.